AfD im Bundestag

Felicitas Weck, MdB

Sitzungswoche 27. bis 29. Januar 2021

Verschwörungserzählungen funktionieren besonders gut, wenn sie an Elemente von Wahrheit anknüpfen, reale Probleme oder Fragen zum Ausgangspunkt nehmen und von hier aus einen eigenen Spin entwickeln, der die gewünschte politische Richtung vorgibt. Die AfD verfährt häufig so und macht es dem politischen Gegner schwer, das ganze Thema als unsinnig abzutun. Exemplarisch führt sie das in der von ihr beantragten Aktuellen Stunde zum Thema "Big Tech und die Meinungsfreiheit im Internet" vor. Politisch geht es ihr um die bekannte Opferinszenierung und die Behauptung, die globale Linke strebe eine totalitäre Zensur gegenüber allem politisch Abweichenden an, was sie am Beispiel der Twittersperre für Donald Trump festmacht. Beatrix von Storch läuft hier zu großer Form auf: "Die globalistische Linke im Bündnis mit Big Tech will dagegen jeden mundtot machen, der nicht an ihre Wahrheit glaubt. (...) Die haben eine Arbeitsteilung: Die linken Terrorhorden von Antifa und Black Lives Matter schüchtern mit massiver physischer Gewalt politische Gegner ein, mobben unbequeme Wissenschaftler von der Universität, boykottieren und attackieren Unternehmen und schänden Denkmäler, laut und schmutzig. (...) Wir stehen vor einer Zeitenwende: Vor unseren Augen entsteht ein globaler Überwachungsstaat und ein so perfektes Zensurregime, wie es das noch nie in der Geschichte der Menschheit gab. Das ist digitaler Totalitarismus. Den müssen wir stoppen - für die Meinungsfreiheit der Bürger, für die Demokratie, gegen den Totalitarismus von Big Tech und gegen die Herrschaft des Silicon Valley." (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 206. Sitzung, S. 25955)

Die Phantasievorstellungen zur Macht einer globalen Linken kann man getrost beiseitelassen aber die Machtkonzentration von Big Tech ist demokratietheoretisch tatsächlich ein Problem. Genau um dieses Problem von (Monopol)Machtkonzentration im Kapitalismus geht es der AfD aber nicht, denn hier ist sie Teil des Eigentumsblocks. Im April 2018 wurde im Bundestag über die Einschränkungen der Marktmacht großer Internetkonzerne debattiert, was jedoch mit der AfD nicht zu machen ist, denn das wäre "sehr weit weg von Marktfreiheit und Rechtsstaatlichkeit." Machtkonzentrationen und Monopolstrukturen konnte ihr Redner Enrico Komning damals nicht erkennen, denn für ihn ist "der Markt sehr wohl in der Lage (...), Wettbewerb auch bei temporär dominierenden Unternehmen zu gewähren." (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 29. Sitzung, S. 2735) Der Staat habe hier nichts zu suchen.

Wie eine linke Kritik an der Marktmacht großer Internetkonzerne aussehen kann, zeigt Anke Domscheit-Berg in ihrer Rede: https://dbtg.tv/fvid/7499094

Zu Corona gibt es wenig Neues von der AfD zu berichten. Beendigung aller Einschränkungen und Schutz der besonders betroffenen Gruppen - auf diese Formel beschränkt sich inzwischen die AfD-Linie im Bundestag. Das sei, so Armin Paul Hampel, "ganz einfach" und man fragt sich, warum es in dieser Spezifik (sicherer Schutz der Älteren und Aufhebung aller Regeln für alle anderen) nirgends auf der Welt durchgeführt wird. In Deutschland liege das laut Hampel u.a. daran, dass die Linke diese Generation als "Nazigeneration" hasse: "Das sind die, von denen die jungen Grünen und die Jungsozialisten sagen: Das ist ja die Nazigeneration, da ist es nicht so schlimm." (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 205. Sitzung, S. 25807) Was hier, frei von jeglichem Realitätsgehalt, auf die Linke projiziert wird, ist praktische Politik der Rechten. Noch im Oktober hatte Fraktionschef Gauland mit Blick auf die Einschränkungen gefordert, "Wir müssen abwägen, auch um den Preis, dass Menschen sterben." Nachweislich ist es weltweit die politische Rechte, die in Regierungsverantwortung für einen Großteil der Corona-Toten - hauptsächlich unter älteren Menschen - verantwortlich ist.

Wenn es konkret wird beim Schutz der gefährdeten Gruppen zeigt sich, dass die AfD außer Überschriften nicht viel zu bieten hat. Den LINKEN-Antrag zur zentralen Beschaffung von FFP2-Masken und der staatlichen Regulierung des Preises (Drs. 19/26170) lehnt Uwe Witt für die AfD mit Verweis auf die Gewinninteressen der Hersteller ab. Das sei "Wettbewerbsverzerrung" und habe mit Marktwirtschaft nichts zu tun. Ärmere gehören für die AfD nicht zu den gefährdeten Gruppen, denn ihre von der LINKEN geforderte finanzielle Besserstellung lehnt Witt ebenso ab: "Nach dem Omnibus-Prinzip verpacken Sie eine Regelbedarfserhöhung für Leistungsbezieher in den Grundsicherungssystemen in einen Antrag zur Sicherstellung des Zugangs zu FFP2-Masken für die Bevölkerung. Meine Damen und Herren der Linken, wir alle wissen, dass Ihnen das Prinzip 'Arbeit muss sich wieder lohnen' nichts bedeutet. Eine Regelbedarfserhöhung von den erst kürzlich beschlossenen 446 Euro auf 658 Euro anzustreben - das sind 212 Euro pro Person mehr -, ist eine Zumutung für den deutschen Steuerzahler und für die Menschen, die arbeiten gehen; denn mit diesem Plan führen Sie das Lohnabstandsgebot ad absurdum." (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 207. Sitzung, S. 26155)

Die soziale Bewältigung der Pandemie-Krise wird ein zentrales Thema der nächsten Monate sein. Von der AfD ist hier nichts zu erwarten. Die prekäre Lage vieler kleiner Selbständiger wirft die Frage nach ihrem Einbezug in die Arbeitslosenversicherung auf, wie er von der LINKEN gefordert wird (Drs. 19/24691). Für den Sozialstaat und gemeinschaftliche Formen der Absicherung hat der AfD-Redner Martin Sichert aber nur Verachtung übrig: "Sie von den Linken wollen die Selbstständigen in die Arbeitslosenversicherung zwingen, gerade jetzt, in einer Zeit, in der viele Hunderttausend Selbstständige ums Überleben kämpfen (...). Unternehmer sind keine Melkkühe für die Sozialversicherungen. Unternehmer brauchen eine gewisse unternehmerische Freiheit. Dazu gehört, dass sie selbst für Notlagen vorsorgen und auch dass sie unternehmerische Risiken stemmen. All das können sie, all das wollen sie. (...) Nein, wir brauchen nicht noch mehr Bürokratie, nicht noch mehr Sozialismus, nicht noch mehr staatliche Eingriffe, nicht noch mehr staatliche Regelungen. Wir brauchen mehr Freiheit und mehr Eigenverantwortung in Deutschland; denn blühende Landschaften kann es nur mit Freiheit geben." (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 205. Sitzung, S. 25827)

Dass die AfD innerhalb von 20 Minuten auch schon mal völlig konträres vom Redepult im Bundestag verkündet, wurde hier schon öfter berichtet. Diesmal ließ es sich in der Aktuellen Stunde der LINKEN "UN-Verbot von Atomwaffen beitreten" vernehmen. Während Armin Paul Hampel die Forderung ablehnt - "Mit der Abschaffung der Nuklearkomponente würde konventioneller Krieg erst wieder möglich gemacht, und die Auswirkungen wären verheerend für dieses Land, für dieses Europa und den Rest der Welt. Meine Damen und Herren, aus diesem Grunde lehnt die AfD-Fraktion den Atomwaffenverbotsvertrag ab." (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 207. Sitzung, S. 26191) - wird sie wenige Minuten später vom AfD-Abgeordneten Anton Friesen begrüßt: "Die Alternative für Deutschland als Friedenspartei lehnt humanitaristisch verbrämten Kriegspazifismus ab. Wir setzen uns für die globale Abschaffung von atomaren, biologischen und chemischen Waffen ein." (Ebd., S. 26195) Angesichts sonstiger Grabenkämpfe in der AfD scheint dieser Widerspruch fast putzig.

Alle Debatten können hier nachgelesen werden: Plenarprotokoll 19/205 (bundestag.de) <https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/19/19205.pdf> Plenarprotokoll 19/206 (bundestag.de) <https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/19/19206.pdf> Plenarprotokoll 19/207 (bundestag.de) <https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/19/19207.pdf>