AfD im Bundestag

Gerd Wiegel

Sitzungswoche 23. bis 25. Juni 2021

Vier Jahre lang ist es der AfD-Fraktion im Bundestag gelungen, sich als Außenseiter des Parlamentsbetriebs zu präsentieren. Eine selbstgewählte Rolle, mit der sich die Fraktion sehr bewusst als Gegenmodell zu allen anderen inszenierte, wenngleich ihre Mitglieder formal der bürgerlichen Mitte entstammen. Die Fraktion konnte oder wollte keinerlei Brücken zum etablierten Konservatismus bauen, auch deshalb, weil sie Rassismus, Hetze und die Verachtung demokratischer Institutionen häufig offen und plakativ im Plenum präsentierte und nicht die Camouflage bürgerlich-konservativer Parlamentspolitik nutzte, wie sie für die Union noch bis in die 1990er Jahre hinein zu beobachten war. "Wir werden Ihnen auch die nächsten vier Jahre hier zur Hölle machen" (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 236. Sitzung, S. 30752), mit dieser Ankündigung des Abgeordneten Thomas Seitz begibt sich die AfD zurück auf den Ausgangspunkt vor vier Jahren, als sie ankündigte, alle anderen jagen zu wollen. Erst die nächste Wahlperiode wird Aufschluss darüber geben, welche Optionen der parteiförmigen extremen Rechten auch im Parlamentarismus zur Verfügung stehen oder sich zumindest abzeichnen.

Die letzte Sitzungswoche der 19. Wahlperiode dagegen brachte altbekanntes. So rechnete Alice Weidel nach der letzten Regierungserklärung der Kanzlerin vor allem mit deren Flüchtlings-, EU- und Corona-Politik ab: "Ihre Coronapolitik ist Ihr gröbster Fehler der letzten Zeit, und deswegen klammern Sie sich auch so verbissen daran fest und verweigern leider jeden Erkenntnisfortschritt. Unsere europäischen Nachbarn suchen längst den Weg zurück zur Normalität, und die deutsche Coronapolitik starrt weiter verklemmt auf Inzidenzwerte und schürt Panik für den Herbst mit der Beschwörung finsterer Bedrohungsszenarien zur sogenannten Deltavariante." (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 236. Sitzung, S. 30539) Angesichts der aktuellen Einschränkungen in Israel, Großbritannien, Portugal oder Russland ein bemerkenswertes Verständnis von "Normalität".

Ganz zu alter Form lief Gottfried Curio in der Nacht um 2.30 Uhr noch auf. Beim Thema Staatsangehörigkeitsrecht präsentierte er alle Punkte, die ihn zum größten rassistischen Hetzer des Parlaments gemacht haben: "Was also ist der Grund, dass man Ausländern gar nicht schnell genug das deutsche Wahlrecht hinterherwerfen kann - und das, wo wir Hunderttausende ausreisepflichtige illegale Asylbewerber im Land haben? (...) Das langfristige Ziel aller dieser alten und neuen Regelungen ist offensichtlich die Auflösung des deutschen Staatsvolks als jahrhundertelange Abstammungs- und Kulturgemeinschaft zugunsten einer schrittweisen Umwandlung Deutschlands in ein geschichts- und gesichtsloses Siedlungsgebiet für Ausländer jedweder Herkunft und Kultur durch die bewusste Unterlassung einer aktivierenden Familienpolitik zugunsten der rapide abnehmenden deutschen Bevölkerung. Wie wäre es, wenn man mal jung deutschen Familien die Milliarden zukommen ließe, die man hier ans Ausland und illegale Eindringlinge veruntreut? Diese Unterlassung trifft sich mit den erheblich überproportionalen Geburtenzahlen sogenannter Flüchtlinge, und das ist auch so beabsichtigt. (...) Mehr Deutschlandfeindlichkeit war selten. Laschet und die anderen Deutschlandvernichter werden das im Turbotempo durchziehen." (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 236. Sitzung, S. 30762) Umvolkung, kulturfremde Eindringlinge, Kampf der Wiegen - alle Stichworte des völkischen Baukastens präsentiert der Redner noch einmal, so dass man den unparlamentarischen aber im Protokoll vermerkten Zwischenruf "Da kommt der Herr Goebbels wieder von der AfD!" auch irgendwie verstehen kann.

Markus Frohnmaier bewegt sich zumeist auf ähnlichem Niveau wie Gottfried Curio. In der Debatte zum Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus will er vor allem mit dem Begriff "Zigeuner" provozieren: "'Afrika'- Kekse dürfen nicht mehr 'Afrika'-Kekse heißen, Weihnachtsmärkte werden in 'Wintermärkte' umgetauft, im Restaurant muss man 'Paprikaschnitzel' statt Zigeunerschnitzel bestellen. (...) Der Begriff 'Zigeuner', den viele Sinti übrigens heute noch immer mit Stolz verwenden, wird von dieser Kommission kriminalisiert. Auf 502 Seiten wird der Begriff 'Zigeuner' bei seiner Verwendung durchgestrichen. In einer Fußnote wird unter Bezugnahme auf den linksextremen Philosophen Jacques Derrida erklärt, dass man so einen Begriff gleichzeitig verwenden und ablehnen könne. Herr Derrida, der geistiger Vater der Dekonstruktion und auch dieser Kommission ist, wollte zu Lebzeiten übrigens Sex mit Kindern legalisieren. (...) Meine Damen und Herren, die Zigeuner in Deutschland brauchen keine alberne Kommission, die, statt Freiheitsrechte zu schützen, diese abschaffen will. Ich fordere Sie auf, diese linksextremen Umtriebe in der Kommission endlich zu beenden." (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 236. Sitzung, S. 30681)

Wie sich die AfD die Rolle Deutschlands in der Welt vorstellt, scheint in manchen außen- und militärpolitischen Debatten auf. Die AfD-Kritik an Kriegseinsätze der Bundeswehr bezieht sich dabei immer auf die ihrer Ansicht nach fehlenden deutschen Interessen oder auf die angeblich zu zurückhaltende Ausrichtung des Einsatzes. Letzteres findet sich in der Bewertung des Afghanistan-Einsatzes durch Armin Paul Hampel: "Unsere Soldaten, zwar hoch motiviert, aber völlig unerfahren im asymmetrischen Krieg, hatten keine Chance. Die, die kämpfen wollten, wurden durch die 'Rules and Regulations', wie es so schön heißt, zurückgehalten. Und als der Oberst Klein in Kunduz endlich mal erfolgreich zugeschlagen hatte, da jubelten die Afghanen landauf, landab, und in Deutschland ermittelte der Staatsanwalt." (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 235. Sitzung, S. 30404) Mehr als 100 Menschenleben kostete dieses "erfolgreiche zuschlagen" der Bundeswehr, darunter zahlreiche Kinder.

Historisch will die AfD an die deutsche Rolle vor 1945 anknüpfen, weshalb ihr besonders die Erinnerung an die deutschen "Volksgruppen" in Osteuropa und an deren Schicksal nach 1945 am Herzen liegt. Wilhelm von Gottberg, langjähriger Vertriebenenfunktionär und Weggefährte von Erika Steinbach, mit der er zusammen in der CDU aktiven Geschichtsrevisionismus betrieb und als Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen den Schulterschluss mit verschiedenen Organisationen der extremen Rechten suchte, verdeutlicht in seiner Abschiedsrede zur Förderung der Kulturarbeit im Rahmen des Bundesvertriebenengesetzes , wofür die AfD steht: "Die Landesmuseen werden heute institutionell gefördert. Die Förderung ist nicht üppig. Gleichwohl, es wurden damit Erinnerungsorte geschaffen, die an das wirkliche Ostdeutschland erinnern sollen. Die ehemaligen preußischen Ostprovinzen sind Teil der deutschen Geistes- und Kulturgeschichte. Ob mit den Einrichtungen eine dauerhafte Erinnerung an diesen Teil unserer Geschichte möglich sein wird, ist zweifelhaft. Das kann nur gelingen, wenn der Geschichtsunterricht an den Schulen entsprechende Lehrinhalte vermittelt. Leider kann man da nicht optimistisch sein. (...) Zu kurz kommt im Bericht die Lage der deutschen Volksgruppen in Polen. Unter meiner Federführung gründete die Landsmannschaft im polnischen Teil Ostpreußens 22 deutsche Vereine. (...) Zahlreiche Polen stören sich daran, dass sich deutsche Touristen im heutigen Polen polnischer gebärden als polnische Patrioten. Das mögen die nationalbewussten Polen nicht. Ich habe bei meinen zahlreichen Besuchen im heutigen polnischen Teil Ostpreußens aus meiner preußischen und deutschen Gesinnung keinen Hehl gemacht. Dafür wurde mir Respekt bekundet." (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 237. Sitzung, S. 30915 f.) Preußische und deutsche Gesinnung - man fühlt sich bei solchen Wendungen in die 1950er Jahre versetzt, sollte aber nicht vergessen, dass Gottberg bis 2011 seine politische Heimat in der CDU hatte.

Alle Debatten können hier nachgelesen werden:
Plenarprotokoll 19/235 (bundestag.de) <https://dserver.bundestag.de/btp/19/19235.pdf>
Plenarprotokoll 19/236 (bundestag.de) <https://dserver.bundestag.de/btp/19/19236.pdf>
Plenarprotokoll 19/237 (bundestag.de) <https://dserver.bundestag.de/btp/19/19237.pdf>