AfD im Bundestag

Gerd Wiegel

Sitzungswoche 9. bis 11. Juni 2021

Mit dem nahenden Ende der Legislaturperiode setzen die Fraktionen des Bundestages die Themen zur Debatte auf, die ihnen in der Außendarstellung besonders wichtig sind. Die AfD kehrt erwartbar zu ihrem ursprünglichen Erfolgsthema zurück, der Hetze gegen Zugewanderte im Allgemeinen und Muslimen im Besonderen.

Mit letzteren könne es prinzipiell kein friedliches Zusammenleben geben, zu groß seien die kulturellen Prägungen, die ein Miteinander unmöglich machten. Das ist die Quintessenz von AfD-Anträgen unter den Überschriften „Integrationsprobleme durch kulturelle Prägung wahrnehmen“ (Drs. 19/30416), „Islamische Radikalisierung frühzeitig erkennen“ (Drs. 19/29778) und „Dem radikalen Islam den Boden entziehen“ (Drs. 19/23956). Inhaltlich geht es der AfD darum, vorhandene Probleme im Bildungsbereich, auf dem Arbeitsmarkt im Bereich Kriminalität, ja in „sämtlichen Gesellschaftsbereichen“, wie ihr Redner Bernd Baumann sagt, auf die „kulturelle Prägung“ der Muslime zurückzuführen (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 233. Sitzung, S. 29961 f.). Ethnopluralismus als zentraler Politikansatz, mit dem über Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung nicht mehr gesprochen werden soll.

Sozialpolitik dagegen gehört nicht zu den zentralen Themenfeldern der AfD, wenngleich sich die Partei gerne als Volkspartei und Anwalt der kleinen Leute geriert und nach Wahlen wie in Sachsen-Anhalt auf den Anteil an „Arbeiterstimmen“ verweist. Die völkische Grundierung sozialpolitischer Themen zieht sich wie ein roter Faden durch das Agieren der AfD. So auch beim von der Fraktion aufgesetzten Tagesordnungspunkt „Lehren aus dem Sechsten Armuts- und Reichtumsbericht ziehen“ (Drs. 19/30403). Die von der AfD gezogene Lehre ist, dass man Arme gegen noch Ärmere ausspielt und den Reichtum und die Reichen ignoriert bzw. befördert. So verweist René Springer auf die im Bericht aufgeführten skandalösen Zustände von Kinderarmut, Niedriglohn etc., um sie dann den „rund 2 Millionen ausländischen Hartz-IV-Beziehern“ gegenüberzustellen, „von denen viele nie auch nur einen Cent in unsere Sozialsysteme eingezahlt haben.“ „Lohndumping“ wird von ihm beklagt, für das jedoch nicht die Kapitalseite, sondern die „illegale Massenmigration“ verantwortlich sei. Während „Flüchtlingskosten“ und EU-Zahlungen gestrichen werden sollen, fordert die AfD ein Ende „der Ausbeutung der Leistungsträger in unserer Gesellschaft“ und eine „Steuer- und Abgabenbremse ins Grundgesetz“ (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 232. Sitzung, S. 29877 f.).

Nach unten treten und nach oben buckeln, so lässt sich der sozialpolitische Ansatz der AfD zusammenfassen. Folgerichtig lehnt sie jede Form staatlicher Umverteilungspolitik von oben nach unten ab, wie Albrecht Glaser zum widerholten Male in einer Debatte zum Thema Vermögenssteuer klar macht: „Sozialisten, meine Damen und Herren, sind Materialisten. Sie haben daher einen eingeschränkten Blick auf die Welt und die Menschen. Als Materialisten streben sie für sich persönlich stets Wohlstand an und beneiden andere, die auf diesem Feld erfolgreicher sind als sie selbst. Um ihre niedrigen Motive zu verbergen, erklären sie den Fleißigen zum Streber, den Sparsamen zum Knauser und den kreativen und erfolgreichen Unternehmer zum Kapitalisten. Sie bemühen den Staat als Instrument für den Zugriff auf die persönlichen Verhältnisse anderer Leute. Deshalb enden alle sozialistischen Experimente im totalitären Staat.“ (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 233. Sitzung, S. 30057)

Bis hin zur Wortwahl macht sich die AfD die Interessen der Wirtschaft zu eigen. So in der Debatte zum Thema Lieferkettengesetz, dass die AfD mit der identischen Begründung ablehnt, die man in dieser Woche auch den Anzeigen der Arbeitgeberverbände in einigen großen Tageszeitungen entnehmen konnte. Bei René Springer heißt es: „Aber es passiert noch etwas anderes: Unternehmen würden sich aus Problemregionen zurückziehen, mit einer dramatischen Konsequenz: Die Lücken, die deutsche Unternehmen dort hinterlassen, werden dann von ausländischen Unternehmen gefüllt, von Unternehmen, die weniger Wert auf Menschenrechte, Sozialstandards und ökologische Standards legen. Die Folge wäre eine Verschlechterung der Menschenrechtslage in diesen Ländern.“ (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 234. Sitzung, S. 30255) Die fast wortgleiche Originalargumentation der Arbeitgeberverbände findet sich auf den Seiten der „Initiative Soziale Marktwirtschaft“ im dritten Absatz der Anzeige: Lieferkettengesetz Mehr Bürokratie, weniger Menschenrechte - INSM <https://www.insm.de/insm/themen/soziale-marktwirtschaft/lieferkettengesetz-mehr-buerokratie-weniger-menschenrechte>

Dass die AfD die gegenwärtige Bundesrepublik nicht mehr als formale Demokratie, sondern als Obrigkeitsstaat sieht, ist bekannt. In der Debatte zu einer „Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte“ verdeutlicht Götz Frömming, wo die AfD die BRD gegenwärtig verortet: „Sie erinnern sich: Metternich war derjenige mit dem Metternichʼschen System. Dieses System steht für die Unterdrückung der Opposition. Es steht für die Einschränkung der Versammlungsfreiheit. Es steht für Zensur. Es steht für die Verfolgung von Schriftstellern, Wissenschaftlern, Gelehrten – denken Sie an die Göttinger Sieben. Das sind alles Einschränkungen, wie wir sie jetzt auch erleben, und so bekommen wir ein eindrückliches Bild, wie es damals zur Zeit der Restauration in Deutschland ausgesehen hat.“ (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 232. Sitzung, S. 29886) Dabei ist es vor allem die AfD, die immer wieder versucht, Institutionen des demokratischen Verfassungsstaates zu diskreditieren. Karsten Hilse zielt zum wiederholten Male auf das Bundesverfassungsgericht, dem er dessen Unabhängigkeit bestreitet und beim Thema Klimaschutz von der Bundesregierung bestellt Urteile unterstellt: „Das lässt vermuten, dass hier das Urteil nicht nur wie gerufen kommt, sondern vielleicht sogar von ihr, wenn auch über Umwege, bestellt wurde. Denn anders ist es nicht zu erklären, warum Kläger und Beklagte so glücklich, ja regelrecht euphorisch über das Urteil sind. Der ehemalige stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion Herr Harbarth und seine Kollegen haben somit ganze Arbeit geleistet.“ (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 233. Sitzung, S. 29946)

Jedoch liegt die AfD mit staatlichen Institutionen vor allem dann über Kreuz, wenn diese sich gegen ihren völkischen und extrem rechten Politikansatz wenden. So ist man hier nicht prinzipielle gegen einen Inlandsgeheimdienst unter der Bezeichnung Verfassungsschutz, möchte aber die politischen Einflussnahmen auf solche Dienste künftig so gestalten, dass sie sich nicht gegen rechts, sondern ausschließlich gegen links wenden. Ist man jedoch selbst betroffen, so lesen sich die Erkenntnisse des AfD-Redners Roland Hartwig zum Verfassungsschutz anlässlich der Debatte zur Verschärfung des Verfassungsschutzrechts doch recht putzig: „Hinter diesem noch ganz freundlich klingenden Namen verbirgt sich ja nichts anderes als ein Inlandsgeheimdienst, der auch eingesetzt wird, um politische Bewegungen mit geheimdienstlichen Mitteln wie dem Abhören von Telefonaten und dem Abfangen von E-Mails auszuspähen und öffentlich zu brandmarken. (…) Der Verfassungsschutz heute ist keine neutrale Einrichtung wie etwa der Bundesrechnungshof, sondern untersteht den Innenministern und damit Parteipolitikern. Dies ist ein grundlegender Webfehler, der entflochten werden muss; denn es steht zu befürchten, dass nicht jeder der zunehmend links orientierten Politiker der Versuchung widerstehen kann, diesen Geheimdienst in einem ja permanent ausgerufenen Kampf gegen rechts auch als politische Waffe einzusetzen. Und dafür gibt es durchaus Beispiele.“ Am interessantesten in Hartwigs Rede ist die Präsentation eines Zitats von Hans Georg Maaßen aus der „Preußischen Allgemeinen Zeitung“ aus dem Dezember 2020: „… Danach musste ich allerdings feststellen, dass massiver persönlicher Druck auf mich ausgeübt wurde, endlich die AfD zu beobachten. Und das war ein ungebührlicher, ein ungewöhnlicher Druck, bei dem ich den Eindruck gewann, ich sollte hier für parteipolitische Zwecke instrumentalisiert werden. Ich fühlte mich teilweise sogar genötigt.“ (Ebd.)

Angesichts der politischen Ausrichtung von Herrn Maaßen wundert es nicht, dass er seine schützende Hand bis zum Schluss über alle Facetten der modernisierten radikalen Rechten in Deutschland hielt. Mit einem solchen Präsidenten würde die AfD im Handumdrehen wieder zum größten Fan des Inlandgeheimdienstes mit dem freundlichen Namen.

Alle Debatten können hier nachgelesen werden:
Plenarprotokoll 19/229 (bundestag.de) <https://dserver.bundestag.de/btp/19/19232.pdf>
Plenarprotokoll 19/233 (bundestag.de) <https://dserver.bundestag.de/btp/19/19233.pdf>
Plenarprotokoll 19/234 (bundestag.de) <https://dserver.bundestag.de/btp/19/19234.pdf>