Auswertung der letzten Sitzungswoche des Bundestages mit Blick auf die AfD

Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Sitzungswoche 29. September bis 2. Oktober 2020

"Macht Deutschland wieder großartig - diesen Satz werden wir von einem der hier schon länger Herumsitzenden niemals hören (...). Sie möchten nicht, dass Deutschland großartig ist. Sie alle möchten, dass Deutschland über kurz oder lang von der Landkarte verschwindet und aufgeht in einer sozialistisch geprägten Union europäischer Räterepubliken, zentral geführt, aller kulturellen und wirtschaftlichen Unterschiede, aller Vielfältigkeit und aller Verschiedenartigkeit beraubt. Die einzige im Bundestag vertretene Partei, die sich die Erhaltung und Bewahrung des Nationalstaates Deutschland, unseres Vaterlandes, auf die Fahne geschrieben hat, die die Interessen des deutschen Volkes ohne Wenn und Aber vertritt, ist die Alternative für Deutschland." (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 178. Sitzung, S. 22476) Keine 24 Stunden vorher konnte man vom ehemaligen Pressesprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Christian Lüth, in einer Fernsehdokumentation eine ganz andere Sichtweise vernehmen als sie der AfD-Abgeordnete Karsten Hilse hier in der Haushaltsdebatte des Bundestages äußert. Nach Lüth müsse es Deutschland schlecht gehen, weil das gut für die AfD sei. Das sei auch mit Gauland so abgesprochen. Insofern sei weitere Zuwanderung - nach Meinung der AfD schlecht für Deutschland - gut, denn das würde die AfD stärken. Der Nachsatz Lüths hatte es in sich: "Wir können die nachher immer noch alle erschießen. Das ist überhaupt kein Thema. Oder vergasen, oder wie du willst. Mir egal."

Dieser Blick in abgründige Phantasien im AfD-Kosmos lässt erahnen, was in geschlossenen Räumen und internen Gesprächen dort so alles geäußert wird. Wenn es jedoch öffentlich wird, will man damit nichts zu tun haben und so wurde Lüth, der sich schon im Frühjahr als "Faschist" und "Arier" bezeichnete, noch vor Ausstrahlung der Fernseh-Doku fristlos entlassen.

In der Haushaltsdebatte spielten diese ungeheuerlichen Äußerungen kaum bzw. nur am Rande eine Rolle, wohingegen diejenigen, auf die solche Phantasien zielen, einen ganzen anderen Blick darauf haben: http://kolumne.gorki.de/kolumne-121/

"Corona-Hysterie" und "Merkel-Diktatur" waren die ideologischen Leitplanken der AfD in dieser Woche, dazu Kritik an der Aussetzung der Schuldenbremse, die tatsächlich eine Investitionsbremse ist und natürlich die Ablehnung aller finanziellen Mittel für Projekte gegen die extreme Rechte.

Während die doch weitgehend minoritäre Position der AfD zu Corona mehr pflichtschuldig als überzeugend vorgetragen wird, sieht das beim Thema "Merkel-Diktatur" ganz anders aus. "Wir fordern die Bundesregierung auf, die Einschränkungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens unverzüglich zu beenden, nur die kleine Risikogruppe wirklich wirksam zu schützen und die anderen Menschen endlich realistisch anstatt hysterisch über die geringe Covid-Bedrohungslage zu informieren. Stoppen Sie die Maskerade der Nation!" (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 178. Sitzung, S. 22435) So, wie Peter Boehringer für die AfD die Haushaltswoche begann, so beendete er sie auch vier Tage später: "Die Kanzlerin meinte dagegen vorgestern, hier einen maternalistisch-autoritären Monolog zur fürchterlichen Gefahr von Corona halten zu müssen, während ihre Politik selbst die größte Gefahr für Deutschland darstellt, insbesondere für rationale Selbst- und Querdenker, die sich nicht dem Druck der von Merkel aufgestachelten Coronablockwarte und Maskentotalitären beugen wollen." (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 181. Sitzung, S. 22801) Das von der AfD inszenierte Masken-Theater im Bundestag hat viele infantile Züge.

Für die AfD-Fraktion ist Corona eine Verschwörung der Herrschenden (hinter denen sie offenbar die Kanzlerin vermutet), um die Entmündigung der Gesellschaft noch schneller vorantreiben zu können. Die Angleichung der Bundesrepublik an die verblichene DDR sei das Ergebnis von Vereinigung und vor allem 15 Jahre Merkel-Regierung. Marc Jongen nutzt die Debatte zu 30 Jahre deutsche Einheit, um solche langen Linien zu ziehen: "Nach 15 Jahren Kanzlerin Merkel tauchen mehr und mehr Aspekte der DDR in der Bundesrepublik wieder auf (...). Dass ausgerechnet Kohls Mädchen, politische Ziehtochter des Kanzlers der Einheit, diesen Prozess wesentlich vorantreibt, ist eine bittere Ironie der Geschichte, aber angesichts ihrer DDR-Sozialisation wohl kein Zufall. Wieder entwickelt sich eine Staatsideologie wie weiland der Marxismus-Leninismus, heute bestehend als Klimareligion und Multikultidogma. (...) Wie in der DDR kommen die Medien ihrer Aufgabe einer ausgewogenen Berichterstattung nicht mehr nach, sondern ergehen sich im regierungstreuen Haltungsjournalismus. Statt Karl-Eduard von Schnitzler und dem 'Neuen Deutschland' haben wir heute Slomka, Restle, Kleber und Relotius. Sie bauen tagtäglich an einem 'antifaschistischen Schutzwall' in den Köpfen, wie die Mauer im DDR-Jargon hieß, der die Gedanken der Bürger in ideologischen Bahnen halten und abweichende Meinungen dämonisieren soll." (Ebd., S. 22769)

Ethnische Homogenität ist nach wie vor ein zentrales Ziel der AfD-Politik. Während der ehemalige Pressesprecher dafür verbal auch mal die faschistische Lösung ins Spiel bringt, geht es im Bundestag harmloser zu. Hier beschränkt man sich z.B. darauf, Projekte und Organisationen finanziell auszutrocknen, die gegen die extreme Rechte und für Vielfalt engagiert sind. So klagt Mariana Harder-Kühnel: "Denn man gibt das Geld viel lieber für linke Propagandaprojekte wie die Amadeu-Antonio-Stiftung aus. Deren Chefin Kahane sagt - ich zitiere -: Die größte Bankrotterklärung der deutschen Politik nach der Wende sei gewesen, dass sie zugelassen habe, dass ein Drittel des Staatsgebietes weiß blieb. - Also, dieser Ethnomasochismus ist an sich schon erbärmlich, ihn aber noch mit vielen Millionen zu fördern und damit aktiv Politik gegen das eigene Volk zu machen, das ist schlichtweg ein Skandal. (...) Für das Normale, für das Natürliche fehlt Ihnen die Wertschätzung. Sie geben das Geld Ihrer Bürger lieber für das Unnatürliche wie Frühsexualisierung und Genderblödsinn aus." (Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 180. Sitzung, S. 22698) Ihr Kollege Frank Pasemann, der zwar aus der AfD ausgeschlossen aber weiter Fraktionsmitglied ist, bringt es auf den Punkt: "Das Bundesprogramm 'Demokratie leben!' gehört endlich gänzlich aus dem Haushaltsplan gestrichen." (Ebd., S. 22705)

Verbale Vorarbeiten für die Phantasien eines Christian Lüth leistet Woche für Woche der Abgeordnete Gottfried Curio. Bei ihm kommt es oft mehr auf den Duktus als auf die Worte an, weshalb man sich hier selbst einen Eindruck verschaffen kann: https://dbtg.tv/fvid/7473749

Alle Debatten können hier nachgelesen werden:

https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/19/19178.pdf

https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/19/19179.pdf

https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/19/19180.pdf

https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/19/19181.pdf