Neujahrsempfang von Rats- und Regions-Fraktion im Zeichen des Terroranschlags in Hanau Politiker*innen sprechen über Naziterror und inhaltliche Ausrichtung der Linkspartei

Ratsfraktion Die Linke Hannover

Knapp hundert Besucher*innen sind der Einladung der linken Rats- und Regionsfraktion zum Neujahrsempfang am späten Freitagnachmittag ins hannoversche Rathaus gefolgt. Dieser stand entgegen ursprünglicher Planungen im Zeichen des neonazistischen Anschlags in Hanau. Damit alle Gäste Gelegenheit hatten, an der Demonstration „bunt statt braun“ gegen den rechten Terror ab 18 Uhr an der Marktkirche teilzunehmen, wurde das Programm auf eine knappe Stunde gestrafft.

Jessica Kaussen, Vorsitzende der Regionsfraktion, und Ratsfraktionschef Dirk Machentanz moderierten die Veranstaltung.

Der Anschlag in zwei Shisha-Bars in Hanau sei nach dem Mord am hessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke und dem Anschlag auf die Synagoge in Halle der dritte neonazistische Terroranschlag in nicht einmal einem Jahr in der Bundesrepublik, mahnte HauptrednerJan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der linken Bundestagsfraktion.

In seiner immer wieder von Applaus unterbrochenen Rede forderte er die Innenminister*innen der Länder und die Sicherheitsbehörden auf, Neonazis vollständig zu entwaffnen. Ab sofort dürfe es keine Kürzungen mehr bei Anti-Rechts-Projekten geben, betonte er. „Die müssen dauerhaft gefördert werden.“ Er geißelte den Beschluss der Berliner Finanzverwaltung, der von Überlebeden des Holocaust gegründeten Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) die Gemeinnützigkeit zu entziehen.

Jessica Kaussen berichtete von einem Antrag der Linksfraktion in der Regionsversammlung, wonach die Region eine Meldestelle für neonazistische und rechtsextreme Umtriebe anlegen soll. Vorbild sei Hessen mit „Hessen schaut hin“. Auch in der Region Hannover gebe es Nazistrukturen, die sich immer weiter aufbauten, sagte sie.

Der Humus, auf dem der rechte Terror wachse, seien nicht nur die Tiraden von AfD-Abgeordneten im Bundestag und in den Landtagen, unterstrich Jan Korte. Auch jeder Hasskommentar in der analogen Welt als auch in den sozialen Medien trage dazu bei. Er machte eine Rechtsverschiebung bei den gesellschaftspolitischen Eliten aus und zitierte beispielgebend Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Dieser spreche mit Blick auf Flüchtlinge von einer „Herrschaft des Unrechts“. Dieser Begriff stamme vom ehemaligen hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der das Dritte Reich im Frankfurter Auschwitzprozess als den „Unrechtsstaat schlechthin" charakterisiert habe, erläuterte Jan Korte. So einen Terminus für die aktuelle Situation zu nutzen, dürfe man den Eliten nicht durchgehen lassen.

Erschreckend sei die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten im Thüringer Landtag gewesen, betonte er. Es handele sich um eine historische Zäsur. Nach den Verheerungen des Faschismus habe es eine Übereinkunft unter den Konservativen und Bürgerlichen gegeben, mit Nazis nicht offen zu kooperieren. „Diese Übereinkunft hat die CDU im Thüringer Landtag aufgekündigt“, mahnte der LINKEN-Politiker. Im Bundestag kassiere man einen Ordnungsruf, wenn man ein Antifa-Button trage.

Korte bedankte sich bei Bürgermeister*innen, Kommunalpolitiker*innen und Antifa-Aktivist*innen vor allem auf dem Land, die sich den Nazis entgegenstellten. „Wenn es sie nicht geben würde, sähe es noch viel schlimmer aus.“ „Linke muss Rebellion gegen die Verhältnisse zu ihrem Programm machen.“ „Wir müssen der AfD die Maske vom Gesicht reißen, damit deutlich wird, dass sie nichts mit Rebellion zu tun hat“, sagte der Bundestagsabgeordnete Diether Dehm (Linke). Die AfD sei eine neoliberale Partei, welche etwa die Panamapapiere verteidigt habe. Es handelte sich um Briefkastenfirmen in Steueroasen, mit denen deutsche Großverdiener*innen Steuern hinterzogen haben. „Wenn wir beim Autositzhersteller Sitech für den Erhalt der Arbeitsplätze mitkämpfen und beim Gildestreik gegen die Aussperrung stehen, stärken wir die organisierten Kräfte der Demokratie“, warb Dehm für eine starke Linke, welche „die Frage der Rebellion gegen die Verhältnisse zu ihrem Programm macht“ und glaubwürdig vertritt. „Das ist das Beste, was wir gegen den Faschismus tun können“, sagte er und erntete tosenden Applaus.

Für die Landesvorsitzende Heidi Reichinnek muss DIE LINKE „eine starkesoziale und antifaschistische Kraft“ sein, die klar sagt, dass „die Grenze nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten verläuft“. Jan Korte warb für ein Mitte-Links-Bündnis auf Bundesebene. Das sei auch für den Schutz der Demokratie wichtig, und nur so bekomme die SPD ihre Glaubwürdigkeit zurück. Ein Problem dabei seien die Grünen. „Die haben sich schon darauf gefreut, mit der CDU/CSU zu koalieren, auch wenn sie seit Thüringen etwas zurückhaltender geworden sind.“

Er forderte die Partei auf, den Wähler*innnen zu erklären, wie sie mit der Union ihre Forderungen im Bereich der Liberalisierung der Gesellschaft, Anti-Diskriminierungspolitik oder der Klimapolitik durchsetzen will.

„Ich bin dagegen, dass wir uns weiter, auch habituell auf den Weg machen, eine zweite grüne Partei zu werden“, sagte Korte mit Blick auf die parteiinterne Strategiedebatte. DIE LINKE werde heute kaum mehr von Arbeitnehmer*innen und Arbeitslosen gewählt, für die sie aber einst gegründet worden sei. Die kleinen Leute müssten deshalb wieder stärker in den Fokus linker Politik rücken, forderte er. Dazu gehöre auch eine klare Sprache zu sprechen, welche die Leute verstehen. Leiharbeit etwa sei moderne Sklaverei und müsse auch so benannt werden. Statt „raus aus der Nato“ zu fordern, sei es besser, den Zusammenhang zwischen Natoverträgen und steigenden Rüstungsausgaben deutlich zu machen – Geld, das dann etwa für Bildung und soziale Aufgaben fehle.

Dirk Machentanz berichtete von einem Antrag der Linksfraktion, eine sogenannte Wohnraum-Zweckentfremdungs-Satzung in Hannover zu erlassen. Hinter diesem sperrigen Begriff verbirgt sich die Möglichkeit, die Umwandlung von Wohnraum für andere Zwecke – wie Gewerbe, Ferienwohnungen oder hotelähnliche Wohnformen – zu verbieten. Die Satzung greift auch, wenn Eigentümer*innen eine Wohnung abreißen oder absichtlich länger als drei Monate leer stehen lassen möchten. Das Ampelbündnis wolle den Antrag prüfen, sagte Machentanz. Der Landesverband sei gerade dabei, eine Wohnenkampagne auf die Beine zu stellen, ergänzte Heidi Reichinnek. Geplant sei, folgenden mietenpolitischen Dreiklang in Niedersachsen durchzusetzen: einen Mietendeckel analog zu Berlin, eine landeseigene Wohnbaugesellschaft und im Zweifel auch Enteignungen großer Wohnungskonzerne, wenn diese ihrer sozialen Verantwortung nicht gerecht würden.