Neun Eckpunkte für eine Neuaufstellung der Linken in der Krise (Diskussionspapier) [UPDATE 21.03.20]

Diether Dehm

Der mittelstandspolitische Sprecher unserer Bundestag-Fraktion, unser Hannoveraner MdB Dr. Diether Dehm (selbst Psychosomatiker/Heilpraktiker), hat nach Zuarbeit verschiedener Genossinnen und Genossen angesichts der Corona-Krise folgendes Diskussions-Papier erarbeitet, welches die Vergesellschaftung bestimmter Konzerne, die Rettung kleiner Unternehmen aber auch die Verteidigung von Freiheiten ins Zentrum stellt.

Krankenhäuser, Finanzsektor und Bahn konsequent in Gemeineigentum! Demokratische Standards retten! Sofort-Schutzschirm für Kleinunternehmen!

Wenig ist heute in Realität und Köpfen mehr sicher und so, wie es vor kurzem noch schien. Auch für DIE LINKE gibt es auf ihrem nächsten Bundesparteitag und im vor uns liegenden Bundestagswahlkampf kein Zurück zu ausgetretenen Denk- und Sprechpfaden. Denn die Corona-Krise macht die Leute kirre, wie kaum je zuvor; sie trifft westliche Demokratien während der Erosion traditioneller „Volksparteien“, bei gleichzeitigem Erstarken neoliberaler grüner und rechtsextremer Parteien. Dazu gekommen waren längst andere tiefgreifende Empfindungen von „Entwurzelung“: Mit dem Schrumpfen von Millionen kleiner Sparguthaben als privater Vorsorge, mit grassierenden Ängsten vorm Alleingelassensein in Altersarmut, mit rechten und islamistischen Terroranschlägen. Darauf „setzen sich“ massenpsychologisch die Fassunglosigkeiten über das Verschwinden sicher geglaubter zivilisatorischer Garantien. Das alles führt auch monopolkapitalistische Politiken an Grenzen ihrer subjektiven Vermittelbarkeit.

Es kann, wenn wir die verunsicherten und zornigen Menschen ansprechen, für uns aber nicht nur dabei bleiben, längst Bekanntes wieder nur zu beklagen: Das Kaputtsparen der öffentlichen Daseinsvorsorge, den Abbau von Zigtausenden inländischer Gesundheitskräfte, das Mantra von der schwarzen Null, die Börsengang-Demontage der Bahn, die Privatisierung der Krankenhäuser, die kommerziell spekulative Patentierung und Kommerzialisierung der Arzneimittelproduktion, die Rettung der Banken und die Nichtrettung der Pflege während der letzten 30 Jahre.

Die katastrophale Wirtschaftskrise, die der Corona-Krise auf dem Fuß folgen wird, heißt für uns jetzt: die Zeichen der Zeit radikaler und populärer zu deuten als bisher. Bei der nächsten Bundestagswahl müssen wir Linke die verunsicherten Wählerinnen und Wählern in klarer und deutlicher Ansprache vor wenige, aber umso zugespitztere Alternativen stellen:

Links steht für wirtschaftliche, soziale und gesundheitssichernd gezielte Eingriffe in das privatkapitalistische Eigentum von strategischen Großunternehmen! Linke Politik bedeutet die Erstarkung von Löhnen, Renten, Sozialleistungen, MitarbeiterInnen-Beteiligung und Staatlichkeit. Unsere Gegner auf der Rechten hingegen stehen als Profiteure der aktuellen Macht- und Eigentumsverhältnisse für Kaputtkürzung der Daseinsvorsorge, soziales Elend und den ganzen börsennotierten Privatisierungswahn, der der Gesellschaft jetzt im wahren Sinn „auf die Füße fällt“ und immer steigendere Opferzahlen einfordert.

In ihren teilweise völkisch konnotierten Appellen an die „Solidarität der Volks-Gemeinschaft“ sieht sich die Bundesregierung nun plötzlich genötigt, für „Verstaatlichung von Betrieben“ zu sprechen. Wie bei der Commerzbank 2009 und anderen Anwendungen des Grundgesetz-Artikels 15. Aber dies Manöver bleibt ein Skandal, dessen Demagogie wir aufdecken müssen: solange nämlich geplant ist, diese so verstaatlichten Betriebe dann wieder billig an Großaktionäre zu verhökern, wenn sie zuvor mit Steuermilliarden wieder hochgepäppelt und die Profite wieder zum Sprudeln gebracht wurden!

Es ist höchste Zeit für DIE LINKE, jetzt laut, radikal und verständlich das Gemeinwohl und dessen Vorteile herauszustellen! Zumal die Mär empirisch längst widerlegt ist, die Effizienz eines Großbetriebes hinge von seiner Eigentumsform ab (Siehe: „Wirtschaft und Eigentum im heutigen China“, V. Giacche/ G.Bognetti, Universita degli Studi die Milano; S. 15/16ff; Marxistische Blätter, Supplement 2-20)

Mit Ernsthaftigkeit und ohne Überheblichkeit wollen wir einen demokratischen Systemwechsel als rettende Alternative an die breiten Mehrheiten tragen, auch wenn diese gerade noch zwischen konservativer Rückversicherung und linkem Aufbruch schwanken. Um unsere Alternativen verständlich und populär aufzuzeigen, müssen wir jetzt mutig und realistisch ein Kurzprogramm für die Vergesellschaftung strategischer Großunternehmen, für Daseinsvorsorge und Gesundheit – also für Wiederherstellung eines starken Sozialstaats – und für ökologische Demokratie, Freiheit und Frieden. Unsere Wahlkampfmittel und Aussagen müssen nach all den neuen Erfahrungen mit dieser Krise radikal und neu überprüft und noch viel populärer gefasst werden.

Darum wollen wir folgende neun Forderungen in einem Initiativ-Antrag an den Bundesparteitag der Linken einbringen:

 

  1. Rückführung aller Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen in öffentlich rechtliche Hand! Pflegenotstand durch Neueinstellungen bei besseren Arbeits- und Tarifbedingungen beenden. Kein Abwerben von Pflegepersonal aus Ländern, die selbst schwer von der Pandemie betroffen sind. Dazu jene 30 000 Stellen wiedereinstellen, die bei den Gesundheitsämtern in den letzten 15 Jahren abgebaut worden waren. Nationale Produktionsabsicherung aller lebensnotwendigen Heilmittel, wie es Prof Lauterbach fordert.

  2. Vergesellschaftung des gesamten Finanzsektors (nach Vorbild der Sparkassen) mit gesetzlich verbrieftem Verzicht auf jegliche Reprivatisierung

  3. Aufklärung ja! Aber diktatorischer Demokratieabbau nein! Die Linke muss jetzt auch Freiheiten und Grundgesetz verteidigen (Viele Experten halten pauschale Ausgangssperren für wenig geeignet, die Ausbreitung des Virus einzudämmen)!

  4. Körperschaftsrechtliche Vollverstaatlichung der Deutschen Bahn; Güter auf die Schiene! 15 Milliarden jährlich in den öffentlichen Personen- und Güter-Verkehr (Weniger Mitarbeiter heißt weniger und engere Bahn und größere Ansteckungsgefahren. Mehr Bahn heißt nicht nur niedrigere Preise, höhere Pünktlichkeit, sondern auch mehr Platz und Abstand)!

  5. 200-Milliarden-Sofort-Schutzschirm für kleine und mittlere Unternehmen und dortige Jobs in Handwerk, Gastronomie, Kultur, Sport, Dienstleistung und Landwirtschaft! Auch durch höhere Staatsschulden, gerade in der jetzigen Niedrigzinsphase; weg mit der schwarzen Null! Zinslose Stundung jeglicher direkter und indirekter Steuervorauszahlungen für kleine und mittlere Unternehmen!

  6. Kurzarbeitergeld ausweiten! Lohnfortzahlung für Eltern, die ihre Kinder betreuen müssen! Wegen der geschlossenen Kitas, Schulen usw. sollten Alleinerziehende und Geringverdienende (statt bisher nur zehn) mindestens 20 Tage bei voller Lohnfortzahlung bei ihren Kindern bleiben dürfen. Im Zweifelsfall muss Quarantäne dort angeordnet werden, wo Rechtssicherheit für Beschäftigte bislang fehlt.

  7. Die öffentliche Daseinsvorsorge muss demokratisch kontrolliert werden! Energieversorgung, Trinkwasser usw. sind für die Menschen da, die sie brauchen – und nicht für Konzernprofite. Wir fordern als radikale Abkehr von der Neoliberalisierung: Einen besseren Pflegeschlüssel für Kranken- und Altenpflegerinnen und -pfelger. Im Notfall muss das mit staatlichem Zwang und Enteignungen nach Artikel 15 des Grundgesetzes durchgesetzt werden.

  8. Altersarmut und -einsamkeit konsequent bekämpfen! Gerade arme, transferempfangende, alte und einsame Menschen sind jetzt besonders hart getroffen. Wenn das nötige Geld für Zeitungsabos, Telefonflatrates, Bücher, moderne Fernseher und Haushaltshilfen fehlt, sind alte Menschen, die ohnehin zu einer „Risikogruppe“ gehören, gezwungen für Einkäufe das Haus zu verlassen. Solidarität in der Nachbarschaft ist gut, besser wäre eine armutsfeste Mindestrente! Vereine, die sich in dieser Betreuung jetzt unbürokratisch betätigen (auch außerhalb ihrer eigenen Mitgliedschaft), sollten für mindestens zwei Jahre die Gemeinnützigkeit zugesprochen bekommen und entsprechend gefördert werden. Wer mit vielen Menschen auf engem Raum lebt oder keine feste Wohnung hat, hat mit schlechteren hygienischen Bedingungen zu kämpfen und steckt sich leichter an. Deshalb brauchen wir sofort einen bundesweiten Mietendeckel nach Berliner Vorbild!

  9. Entwicklungshilfe statt NATO-Kriege! Besonders schwer von Corona betroffen sind z. B. China und der Iran. China und Kuba leisten trotzdem medizinische Hilfe unter anderem in Italien und Spanien - teilweise mit neuartigen Medikamenten und Strategien. Nach diesem Vorbild sollte auch Deutschland die Bundeswehr aus ihren aktuellen Auslandseinsätzen abziehen und die freiwerdenden Ressourcen zur Bekämpfung von Corona einsetzen. Handelssanktionen z. B. gegen China, Kuba, Russland, Iran usw., die die Versorgungslage der dortigen Zivilbevölkerung verschlechtern, sind sofort aufzuheben!