Wohnen – ein hoch politisches Thema

Rainer G. Sommer

Eine alleinerziehende Mutter mit zwei kleinen Kindern brauchte dringend eine Wohnung und Kinderbetreuung. Der Job war zwar nicht üppig bezahlt, aber immerhin ein Job. Mit Anerkennung und sozialen Kontakten.

Sie bekam in einem Neubau, errichtet in Modulbauweise, eine moderne 3-Zimmer-Wohnung, der Kindergarten war fußläufig erreichbar, das Gelände um die 4-Geschosser noch unerschlossen, sprich: Matsch. Das Gartenbauamt kam mit einigen Lastwagen vorbei, lud etliche Bäume und einige Sack Grassamen ab. „Dann macht mal schön“. Von den Neubewohnern wurden innerhalb der weitläufigen Innenhöfe, die von den Häusern umschlossen waren, die Bäume gepflanzt, Rasen gesät, Wege angelegt. So etwas schweißt eine Nachbarschaft zusammen, gefeiert werden konnte das im Gemeinschaftsraum im Keller.

Da kaum jemand ein Auto hatte, war es praktisch, dass Bus und Bahn ihre Endhaltestellen fünf Minuten entfernt von der Siedlung hatten. In zwanzig Minuten war man im Stadtkern, dort lag die Arbeitsstelle der Mutter. Die Miete betrug etwa 15% des Nettoeinkommens. Die Häuser waren staatlich subventioniert.

So etwas gibt es nicht? Stimmt. So etwas gab es. Zum Beispiel in Marzahn.

Wohnen ist ein Grundrecht. Wohnen ist so wichtig wie Wasser, Ernährung und saubere Luft. Warum aber gibt es in Deutschland immer mehr Wohnungslose, immer mehr Zwangsräumungen, immer mehr Menschen, die sich das Essen oder die Wohnung leisten können, aber beides nicht?

Schauen wir uns die demographische Entwicklung an, die Entwicklung des Rentenniveaus, hören wir die (noch verhaltenen) Klagen über eine künftige Altersarmut – was heißt künftig, schon heute sieht man Rentnerinnen, die in Abfalleimern nach Pfandflaschen wühlen – dann sollte uns deutlich werden, dass in der Sozial- und Wohnungspolitik etwas deutlich schief läuft. Sozialpolitik und Wohnungspolitik gehen Hand in Hand.

Wohnraum bereitzustellen ist eine kommunale Aufgabe. Vergleichbar mit infrastrukturellen Aufgaben, der Versorgung mit Wasser, Energie, öffentlichem Transport.

Das ist zu teuer, das treibt die Kommunen in den Ruin? Falsch. Bremerhaven hat auf einem ehemaligen Industrie- und Hafengelände, befindlich im Besitz der Kommune, eine Siedlung aus dreigeschossigen Häusern bauen lassen. Viel Glas, luftige Innenhöfe; die Häuser waren noch nicht fertig, da stand schon die Busanbindung. Und der Kindergarten. Apotheke, Arzt und Edeka kamen dann ganz von alleine. Die Stadt verdient. An Mieten und an Steuern. Sie hat junge, motivierte und arbeitsfähige Neubewohner. Die irgendwann einmal in Rente gehen werden und sich dann ihre Wohnung immer noch werden leisten können.

Kommen wir noch einmal auf die alleinerziehende Mutter zurück. Die in der Platte in Marzahn. Inzwischen sind die Häuser von der Kommune verkauft und von einer privaten Gesellschaft schön gemacht worden. Hat ein gutes Jahr gedauert, Leben in Gerüst, Dreck und Krach. Viele Mieter haben durchgehalten. Nur: Mit den Mieten stimmt etwas nicht. Die machen jetzt etwa 60% des Durchschnittseinkommens aus.

Über Wohnungsbaupolitik nachzudenken bedeutet bei der heutigen Lage, ganz andere Konzepte in Erwägung zu ziehen, neu zu denken, mutiger zu denken und zu handeln, etwas grundsätzlich anders zu machen.

Es ging doch. In den 1920er und 1930er Jahren. In Berlin, Stuttgart, Wien. Menschenwürdiger Wohnraum für Geringverdiener. Die Werkbundsiedlung zum Beispiel.

Diese Siedlungen werden jedem Architekturstudenten als Vorbild nahegebracht.

Sie sollten soziale Vorbilder sein. Hier gibt es eine Menge zu tun. Überzeugungsarbeit zu leisten. Bei Wählern – und bei den Gewählten.

Diese Kolumne ist Ergebnis eines Kommunal-Talks zum Thema „Wohnungspolitik“.

Rainer G. Sommer ist Mitglied in der BO Döhren-Wülfel, studierter Historiker und Philosoph und arbeitet mit integrativem Schwerpunkt als Deutschlehrer für Erwachsene.